Offener Brief an die provisionsbasierte Finanz- und Versicherungsindustrie

Lesezeit: ca. minuten

Lieber Versicherungsmakler, lieber Finanzdienstleister,

Wir wissen, Du tust Dein Bestes, um die Leute gut zu beraten, ihnen zu helfen und sie zu retten – vor der Altersarmut, finanziellen Schäden und anderen potentiellen Gefahren. Und Du bist sicherlich auch anders, als die profitgierigen “Kollegen” da draußen, die den Ruf Deiner Branche ruinieren. Du tust, was Du kannst. Das finden wir klasse!

Doch wir alle müssen akzeptieren, dass unsere Optionen, Leuten zu helfen, begrenzt sind. Und dass die beste Hilfe für manche außerhalb unserer eigenen Möglichkeiten liegt. Das ist auch alles jetzt nicht so schlimm, aber blöd wird es, wenn man eigentlich weiß, dass es “da draußen” etwas viel Besseres für jemanden gibt, das aber für sich behält.

Mal unter uns: Geht es Dir manchmal so? Hast Du vielleicht schon mitbekommen, dass es viel, viel bessere Möglichkeiten für die Altersvorsorge gibt, als die von Dir vertriebenen Rentenversicherungen oder aktiv gemanagten Fonds? Manchmal kommen Dir diese Gedanken, aber Du verdrängst sie schnell wieder?

Klar, Du musst ja auch von irgendwas leben! Und falls Du angestellt bist, wird Dein Chef auch nicht begeistert davon sein, wenn Du den Leuten Dinge außerhalb Eurer Produktpalette empfiehlst, womit Ihr kein Geld verdient.

Du bist in einer ziemlichen Pattsituation und kannst da nicht raus. Deswegen kannst Du Dir das vermutlich auch nicht eingestehen und suchst nach Argumenten, warum es doch “das Richtige” ist, den Leuten Deine Produkte zu verkaufen. Ist sonst auch schwer, auszuhalten bzw. dann müsstest Du Dir ja einen neuen Job suchen.

Wir machen Dir da auch gar keinen Vorwurf. Das Problem liegt im System: Du wirst immer den Anreiz haben, das zu verkaufen, was auch für Dich eine gute Provision abwirft. Natürlich kann man sich als Gesellschaft überlegen, ob man das will.

Großbritannien und die Niederlande zum Beispiel wollen das nicht und haben daher den provisionsbasierten Vertrieb von Altersvorsorge-Anlageprodukten verboten. Seitdem hat sich die Qualität extrem gesteigert, was die Beratung und die verkauften Produkte betrifft. In Deutschland ist vermutlich die Lobby der Versicherer viel zu groß, so dass sich die Regierung nicht traut, so ein Gesetz durchzusetzen. Das finden die Verbraucherzentralen richtig mies, aber es nützt ja nix.

Also, jetzt ist ja die Lage, wie sie ist. Darum hätten wir ein paar Vorschläge:

Zunächst wäre es super, auf langfristige Renditen zu schauen. Bei der Altersvorsorge reden wir ja über jahrzehntelangen Vermögensaufbau. Wenn Du also z.B. den von Dir vertriebenen aktiv gemanagten Fonds mit seinem Referenzindex vergleichst und begeistert erzählst, dass Dein Fonds in den letzten fünf Jahren mehr Rendite abgeworfen hat, ist das nicht sonderlich hilfreich. Der Zeitraum ist ein wenig zu klein. Wir müssen ja schauen, was durchschnittlich so in 20-40 Jahren dabei rumkommt.

Ach, das geht nicht? Die Fonds, die Du verkaufst, gibt es meistens noch gar nicht viele Jahre? Leider ist es so, dass über die Hälfte der aktiven Fonds nach ein paar Jahren liquidiert wird (was ziemlich blöd für die jahrzehntelange Altersvorsorge ist), weil sie so schlecht laufen.

Dann sind natürlich langfristige Vergleiche zu Indices nicht möglich. Anstelle dann kurze, nicht aussagekräftige Zeiträume zu vergleichen, könnte man auch skeptisch werden. Wieso denkst Du, dass Deine Firma da ausgerechnet einen Fonds am Start hat, der die nächsten 30 Jahre besser performen wird, als sein Vergleichsindex, den man mit einem schnöden ETF abbilden könnte?

Statistisch gesehen ist es auf jeden Fall höchst unwahrscheinlich. Je nach Studie liegen Deine Chancen bei maximal 10% langfristig. Vielleicht kannst Du uns nochmal erklären, warum wir auf Deinen Fonds setzen sollten.

Und dann verstehen wir noch etwas anderes nicht: Wenn Du Deinen Kunden Renditen vorlegst, warum schaust Du dann auf nominale Werte und vergisst die Inflation? Die ist echt wichtig! Deine Kunden haben nichts von lustigen Renditeberechnungen, wenn die Kaufkraft nicht berücksichtigt wird.

Da fällt uns noch ein: Die Kosten wären ebenfalls ziemlich relevant. Also wenn Dein Produkt ein zigfaches von einer selbstgemachten Altersvorsorge mit ETFs kostet, sollte das vielleicht auch in die Renditeberechnung einfließen?! Weil, weißte, die ganzen Steuervorteile sind halt leider für den Allerwertesten, wenn die Gesamtrendite schlecht ist. Also da bringt auch keine staatliche Zulage irgendwas, wenn am Ende das Geld nicht reicht.

Aber irgendwie berichtest Du Deinen Kunden immer nur von den Zulagen und Steuervorteilen, doch nicht von Kosten und Co. Wir fänden es super, wenn Du einmal eine Gesamtrechnung mit ALLEN Positionen auf der Soll- und Habenseite durchführen könntest und nicht aus Versehen die renditeschmälernden Positionen weglässt. Danke.

Vielleicht hast Du ja sogar beispielsweise ETF-basierte Riesterprodukte im Angebot. Das ist doch schonmal was! Aber Du kannst nicht guten Gewissens Deinen Kunden die durchschnittlichen Marktrenditen von Aktien vorlegen, wenn dann sowas passiert, wie zuletzt durch Corona: In der Krise haben allemöglichen Riesteranbieter bzw. generell fondsgebundene Rentenversicherungen ihr Geld aus Aktien-ETF abgezogen und in Bareinlagen und Co. geschoben – und somit die ganze schöne Rendite aus dem Fenster geworfen.

Ja, wir wissen, da kannst Du nichts für – das sind die Auflagen, damit Du garantierte Renten auszahlen kannst. Aber nur, weil dass die Regeln sind, kannst Du doch trotzdem nicht so ein Produkt verkaufen und dann den Anleger mit dem Schaden da stehen lassen! Hätte Dein Kunde selbst in ETF investiert, hätte er zu richtig günstigen Kursen einkaufen und sich in den Folgejahren über die Rendite freuen können! Aber Dein Produkt macht das genaue Gegenteil.

Was spricht denn dagegen, dass die Leute sich selbst mal schlau machen und ihre Altersvorsorge eigenständig regeln? Ist das zu kompliziert? Nein, ist es nicht. Wir sprechen da nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern können von sehr, sehr vielen Leuten berichten, die das hinkriegen.

Falls Du jetzt mit dem Argument der Garantie kommst: Mit Blick auf historische Daten hat man nach 15 Jahren vernünftiger Geldanlage immer positive Renditen verzeichnen können – und zwar im absoluten Worst-Case-Szenario! Was bringen einem Garantien, wenn sie garantiert sehr wenig bieten? Zum Beispiel einen return on invest nach 25 Jahren Rente bei Lebensversicherungen?!

Klar gibt es Leute, für die die eigenständige Altersvorsorge nix ist. Aber das dürfte die Minderheit sein – insbesondere, wenn man die Leute befähigt und sie unterstützt, anstelle ihnen Angst einzujagen. Und es gibt ja auch noch die Option, ein Garantieprodukt von Dir beizumischen.

Aber klar, das würde Deine persönliche Rendite schmälern. Verstanden.

Vielleicht magst Du Deine Berufswahl ja nochmal überdenken. Wie heißt es so schön, alle vier Jahre sollte man mal sein Job wechseln. Man kann sich nun mal nicht ewig etwas vormachen. Irgendwann musst Du Dir tief in die Augen schauen und überlegen, ob Du es noch weiter vor Dir rechtfertigen kannst, die Leute so an der Nase herumzuführen. Noch ist es nicht zu spät!

Alles Gute Dir,
Anna und Eddy von den LazyInvestors

PS: Danke für Dein… ähm… konstruktives Feedback zu unseren Artikeln. Nur die Bitte: Wenn Du unsere Blogposts liest und die Berechnungen nicht verstehen kannst, dann frag doch einfach mal nach! Du kannst Dir auch immer unsere Berechnungstabellen in den jeweiligen Blogposts herunterladen. Vielleicht schaust Du da erstmal rein, bevor Du sagst, es sei eine Milchmädchenrechnung oder sowas. Und wenn Du einen Fehler findest, würden wir uns mega freuen! Dann könnten wir die Inhalte nämlich verbessern. Danke!

PPS: Jap, wir verdienen Geld mit der Altersvorsorge. Wir haben einen Kurs, in dem wir Leuten dabei helfen, eigenverantwortlich ihre Altersvorsorge zu regeln und endlich einen Haken an das Thema zu machen. Es handelt sich dabei um ein Bildungsprodukt. Durch unsere Arbeit sind wir immer mehr auf das aufmerksam geworden, was so abgeht in der Versicherungswelt. Und wir müssen dann gemeinsam mit unseren Kurs-Teilnehmern die Scherben aufsammeln; sprich, die schlechten “Beratungen”, miesen Produkte und dadurch entgangenen Renditen anschauen. Das ist jedes Mal bitter. Wir möchten die Leute befähigen, ihren Finanzkram selbst zu regeln und das Ganze endlich zu verstehen, vor dem sie so große Angst haben. Dann verschwindet die Angst nämlich. Und zwar nur dann.

PPPS: Nein, wir haben nicht Passierschein A38, wir machen nämlich keine Anlageberatung. Wie oben beschrieben halten wir davon rein gar nichts, sondern wollen Leuten helfen, ohne diese großartige “Beratung” sich selbst ein Bild zu machen und eigenverantwortlich zu handeln.

Verfasst von Dr. Anna Terschüren & Martin Eckardt
Veröffentlichung: 02. Juni, 2020
LETZTE AKTUALISIERUNG: 11. Dezember, 2023
Diese Artikel könnten Dir auch gefallen

Schließ Dich über 35.000 neugierigen Menschen an

Erhalte wöchentlich unsere neuesten Momentaufnahmen – mit spannenden Punkten zu ausgewählten Themen, über die wir in den letzten Tagen gestolpert sind – normalerweise über Geld, Produktivität, Psychologie. Trag Dich jetzt ein und sei dabei.

>