Früher haben wir sehr sparsam gelebt, um über den Frugalismus schneller in Rente gehen zu können. Warum wir uns heute nicht mehr als Frugalisten bezeichnen, sondern einen anderen Weg verfolgen, darum geht’s in diesem Beitrag.
Der frugale Lebensstil fing für uns eigentlich damit an, dass wir unsere Altersvorsorge regeln wollten. Nach Umwegen über Finanzdienstleister, die uns schlechte Produkte verkaufen wollten, haben wir uns dann glücklicherweise selbst reingefuchst. Und sind das ganze wissenschaftlich fundiert angegangen.
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Darüber wiederum sind wir in die Personal Finance Bubble abgetaucht und sind irgendwann auch auf die Frugalisten-Szene gestoßen und die FIRE-Bewegung. Das steht für Financial Independence, Retire Early.
Das Konzept kann man so zusammenfassen: Spare extrem, leg Dein Geld in breitgestreute Indexfonds an, bis Du so viel angesammelt hast, dass Du von Deinen Investments für immer leben kannst. Und dann winkt schon der Ruhestand.
Dann bist Du also frühzeitig in Rente, denn Du musst nicht mehr für Geld arbeiten, weil Du ja von Deinen Investments leben kannst.
Der größte und bekannteste Advocat dieser Philosophie ist der von uns sehr geschätzte Mr. MoneyMustache, der in den USA bereits mit 30 Jahren in Rente ging, basierend eben auf diesem Konzept. Das hat Eddy und mich damals sehr angesprochen, weshalb wir uns auf die frugale Lebensweise fokussiert haben.
Dass auch wir schnellstmöglich nicht mehr arbeiten wollten, lag vor allen Dingen daran, dass wir nach den ersten paar Jahren im Job ehrlicherweise überhaupt nicht begeistert von der Arbeitswelt waren. Obwohl wir ja eigentlich voll Lust hatten, etwas Sinnvolles zu leisten!
Aber es erschien uns hoffnungslos, da glücklich zu werden. Eddy und ich sind beide fast im Bore Out gelandet und unsere Kollegen haben größtenteils auch nur auf die Rente gewartet – egal, wie jung sie noch waren.
Deshalb hat uns diese sehr ansprechende Alternative total angemacht und wir haben uns nicht nur den in der Szene berühmten Starbucks-Kaffee verkniffen. Vielleicht hast Du davon auch schonmal gehört.
Also, aus 50 jeden Monat an Kaffee gesparten und investierten Euros werden fast 200.000 Euro in 40 Jahren! Also kein Kaffee außer Haus mehr, das wäre ja grob fahrlässig!
Naja, wir haben also sehr aufs Geld geschaut, um unsere Sparquote weiter zu steigern. Nach dem Motto “Steck alles, was Du kannst, in Indexfonds. Jeder Euro, den Du heute ausgibst und nicht investierst, schiebt Deinen Ruhestand nur nach hinten.”
Da wir ja nicht noch weitere Jahre unseres Lebens in diesen sinnlosen Jobs verschwenden wollten, waren wir da sehr ehrgeizig.
Warum wir uns abgewendet haben
Der frugale Lifestyle hat sich also für uns ziemlich gut angefühlt, denn wir wussten ja für was wir sparen und hatten genaue Ziele: Möglichst früh in Rente gehen und dann nie wieder arbeiten müssen.
Mit dem ganzen Gespare haben wir damals mit Mitte 20 angefangen.
Fast ein Jahrzehnt später, als wir dann beide Mitte 30 waren, hatten wir es glücklicherweise aus den miesen Jobs rausgeschafft, verdienten auch immer mehr und hatten schon ordentlich was zurückgelegt.
Und trotzdem haben wir immer noch gelebt, als hätten wir kein Geld. Dabei entsprach das längst nicht mehr der Realität!
Also, obwohl wir bereits ordentlich was auf der Seite hatten, konnten wir es nie genießen, wenn wir uns dann doch mal was gegönnt haben. Und das ging uns tierisch auf den Keks.
Zur gleichen Zeit gab es in unserem Bekanntenkreis mehrere Leute in unserem Alter oder sogar jünger, die echt überraschend verstorben sind. Stell Dir mal vor, Du bist 35, hast das letzte Jahrzehnt richtig rangeklotzt, viel verzichtet und jeden Cent investiert. Und plötzlich verstirbt ein Freund, der auch noch jünger ist als Du.
Das hat uns richtig geschockt. Ein Hinweis mehr, dass sich schleunigst etwas ändern musste. Was hilft uns das ganze Geld später, wenn wir es nicht nutzen können?
Von da an haben wir einen anderen Kurs eingeschlagen und dem Frugalismus langsam den Rücken gekehrt. Was uns einst hilfreich war, hat uns eigentlich nur noch gebremst.
Denn hätten wir so weitergemacht wie bisher, wären wir massiv über unser Ziel hinausgeschossen. Wir hätten zu viel Zeit mit dem Sparen verbracht und zu wenig damit, das verdiente Geld zu genießen.
Unsere neue Mission
Also war unsere neue Mission: Mehr Geld für uns auszugeben und es auch wirklich zu genießen.
Wir haben angefangen, viel mehr Essen zu gehen, uns schönere Hotelzimmer zu gönnen usw.
Wir waren schon gut dabei, unsere neue Mission zu erfüllen und unser Geld mehr zu nutzen, da bekamen wir das Buch „Die with Zero“* von Bill Perkins in de Hände, was uns dann den letzten Hauch an Frugalismus ausgetrieben hat 😀
In diesem Buch befand sich unser letztes Puzzleteil.
Der Autor zeigt auf, dass die Menschen, die es können natürlich, möglichst viel Kapital ansammeln und erst, wenn sie endlich genug verdient haben, darüber nachdenken, was sie als Nächstes tun sollen.
Und dann wird ihnen eine wichtige Sache bewusst: Geld ist an und für sich total wertlos. Es kann jedoch gegen etwas unendlich Wertvolles eingetauscht werden: Erfahrungen.
Doch nutzen wir unser Geld nicht, haben wir ja nur Zeit verschwendet!
Wenn es nur darum ginge, möglichst viel anzuhäufen, also wenn das Endziel einfach darin bestünde, die größte Zahl auf dem Konto zu haben, dann sollte natürlich jeder mögliche Cent investiert werden.
Dann solltest Du Dir auch echt jeden Monat die 50 Euro für den Kaffee sparen und sie lieber anlegen, damit Du mit Renteneintritt 200.000 Euro mehr auf dem Konto hast.
Aber es bringt Dir nichts im Leben, wenn Du am Ende die größte Zahl auf dem Konto stehen hast, jedoch nix von der Kohle in Erfahrungen umwandeln konntest.
Zeitwert des Geldes und Geldwert der Zeit
Wenn es ums Thema Geld geht, sollten wir also zwei Seiten betrachten:
Der Zeitwert des Geldes besagt, dass der Wert eines Portfolios im Laufe der Zeit steigt, wenn man Ausgaben möglichst lange hinauszögert. Er kann uns also zeigen, wie sehr sich der Wert einer Investition zwischen zwei Zeitpunkten bei einer erwarteten jährlichen Rendite verändert.
Das Problem ist aber, dass wir hier auf der Erde nicht unendlich Zeit haben.
Um ein vollständiges Bild der Beziehung zwischen Geld und Zeit zu erhalten, müssen wir die Gleichung auch von der anderen Seite aus betrachten.
Und da kommt der Geldwert der Zeit ins Spiel. Der zeigt uns, wie viel Zeit wir noch haben, um unser Geld gegen Erfahrungen einzutauschen.
Während der Wert unseres Geldes im Laufe der Zeit steigen mag, nimmt unsere Fähigkeit, dasselbe Geld gegen Erfahrungen einzutauschen, im gleichen Zeitraum ab.
Die Herausforderung besteht also darin, zu entscheiden, ob wir die angesammelten Euros jetzt oder später gegen Erfahrungen eintauschen.
Und genau diese Erkenntnis hat uns die Augen geöffnet. Wir haben erkannt, dass wir bereits genug Geld hatten, um ein nach unseren Vorstellungen gutes Leben zu führen!
Wenn wir betrachten, dass wir ja noch einiges verdienen werden in unserem Leben, sind wir eventuell schon über unser Ziel, Zeit und Geldverdienen optimal auszubalancieren, hinausgeschossen. Statistisch gesehen haben wir nämlich die ertragreichsten Jahre noch vor uns.
Und da wir mittlerweile auch mega viel Spaß an der Arbeit haben, wissen wir auch nicht, warum wir damit aufhören sollten.
Warum Erfahrungen verschieben gefährlich ist
Wir haben also die Gefahr erkannt, dass wir viel zu viel Geld anhäufen würden, das wir nicht in Erfahrungen umwandeln könnten, weil das Leben zu kurz ist.
Und Eddy und ich haben daraufhin für uns beschlossen, dass wir nicht wie die meisten Menschen leben wollen. Wir wollen nicht auf Erfahrungen verzichten, um sie dann eventuell später nachzuholen.
Wir wollen uns nicht damit trösten, dass wir „irgendwas später tun können“, was auch immer „irgendwas“ ist.
Sich selbst der gegenwärtigen Abenteuer zu berauben, indem man jeden Cent in sein Portfolio steckt, ist genauso gefährlich, wie den letzten Euro für irgendwelchen hedonistischen Quatsch rauszuhauen. Und am Ende ohne Altersvorsorge dazustehen.
Außerdem müssen wir bedenken, dass verschiedene Erfahrungen zu verschiedenen Zeitpunkten in unserem Leben einen unterschiedlichen Wert für uns haben.
Das Zeitfenster, in dem wir die meisten Erfahrungen machen können, ist kürzer als wir denken. Wir sollten daher entsprechend handeln.
Ein Backpacking-Urlaub, wo wir in irgendwelchen Hostel-Zimmern mit acht Betten wohnen, wird uns als 20-Jährige super tolle Erfahrungen liefern, die wir nie vergessen werden. Außerdem haben wir in diesem Alter kaum Verpflichtungen.
In unseren 30ern wiederum sind die meisten nicht mehr bereit, unbequeme Betten in Kauf zu nehmen und mit 20-Jährigen um die Häuser zu ziehen. Ab da sind die meisten schon so in der Arbeitswelt verankert, dass sie wirklich Urlaub brauchen, während wir mit 20 in vielen Bereichen viel toleranter sind.
Es geht hier gar nicht darum, dass es der Traum eines jeden ist, eine Rucksacktour durch Asien zu machen. Wahrscheinlich ist das auch für die meisten unabhängig vom Alter eher eine sehr unangenehme Vorstellung. 🙂
Aber jede Person hat Träume, sei es, zu reisen, an einem anderen Ort zu leben, einen anderen Karriereweg auszuprobieren oder ein eigenes Unternehmen zu gründen.
Diese Träume werden dann gerne auf unbestimmte Zeit verschoben, weil „der Zeitpunkt gerade nicht der Richtige ist“. Weil wir es uns „im Moment nicht leisten können, dieses Risiko einzugehen“.
Die Wahrheit ist, dass sich der Zeitpunkt für Veränderungen im Leben so gut wie nie richtig anfühlen wird. Entweder man entscheidet sich für den Sprung, oder man tut es nicht. Aber wenn wir den Traum zu lange aufschieben, werden wir feststellen, dass die Gelegenheit an uns vorbeigegangen ist.
Es heißt ja immer: „Wir bereuen das, was wir nicht gemacht haben.“
Das wirkliche Risiko besteht also aus unserer Sicht mittlerweile nicht mehr darin, dass uns das Geld ausgeht oder wir scheitern. Sondern darin, dass wir im Laufe unseres Lebens unzählige Erfahrungen verpassen, weil wir zu sicherheitsbedürftig sind.
Das Timing ist entscheidend
Wie Perkins sagt: „Um das Beste aus unserer Zeit und unserem Geld herauszuholen, ist das Timing entscheidend. Um die Lebenserfüllung insgesamt zu steigern, ist es wichtig, jede Erfahrung im richtigen Alter zu machen.“
Deshalb habe ich auch eine Time-Bucketlist erstellt. Hier schreib ich auf, welche Erfahrungen ich in den nächsten Jahren machen möchte, wo ich gesundheitlich und mental in Topform bin, und was auch durchaus deutlich später im Leben noch gut stattfinden dann.
Diese Liste ist zum Beispiel der Grund, warum Eddy und ich dieses Jahr direkt nach Japan gehen und diverse Bootsführerscheine machen. Klar, das könnten wir hoffentlich auch noch deutlich später im Leben, aber die Ideen für die nächsten Jahre sind so viele, dass wir nichts mehr schieben, sondern jedes Jahr einiges in Angriff nehmen möchten.
Ist Frugalismus schlecht?
Um nochmal zum Frugalismus zurückzukommen:
Bereuen wir diese Phase? Sind Frugalismus-Anhänger zu verurteilen, weil sie die Leute auf die falsche Fährte locken?
Mitnichten!
Der Frugalismus hat uns ja mit dahin gebracht, wo wir heute sind. Wir haben gelernt, mit wenig glücklich zu sein. Wir wissen heute ziemlich genau, welche Ausgaben uns glücklich machen und welche nicht.
Aber wir glauben auch, dass es verschiedene Lebensphasen gibt und das, was uns früher hilfreich war, heute nicht mehr nützt.
Finanzielle Bildung ist aus unserer Sicht aber weiterhin ein extrem wichtiger Bestandteil unseres aktuellen Lebens und eine gute Beziehung mit Geld zu bekommen, ist immer Arbeit, die man selbst leisten muss. Darum finden wir LazyInvestors nach wie vor so enorm sinnstiftend, denn wir helfen Leute dabei, ihren eigenen Weg zu gehen.